21. November 2017

Was zur Erzählung zu sagen ist

Am 8. Dezember 2017 veranstalten die Partnernetzwerke Medien und Kulturelle Bildung der Fachforen Informelles Lernen und Hochschulbildung im NAP (Nationalen Aktionsprogramm), das KMGNE, die DEKRA | Hochschule für Medien und die Deutsche UNESCO-Kommission eine Konferenz zum Thema „Nachhaltig(keit) – Lernen durch Erzählungen“. Die Konferenz richtet sich an LehrerInnen, MultiplikatorInnen, Umweltbildungspädagogen und bildungspolitische Entscheider.

Nähere Informationen finden sich auf der Konferenz-Webseite. Hier geht es auch zur Anmeldung. Die Teilnahme ist kostenfrei. Der folgende Text bildet den Orientierungsrahmen, worauf es uns bei der Konferenz ankommt.

Der narrative Modus

Angesichts der komplexen Struktur nachhaltiger Entwicklung lässt sich Exaktheit – ein Wesensmerkmal unserer Kultur mit entsprechend großer Bedeutung analytischen und wissenschaftlichen Wissens – nur durch die Verdichtung der Sachverhalte erreichen. In Lernprozessen besteht dadurch die Gefahr, dass die größeren (auch historischen) Beziehungs- und Bedeutungszusammenhänge verloren gehen. Wollen wir Sinn schaffen, brauchen wir den ’narrativen Modus‘.

Seit den 1980er Jahren hat sich in der Kognitionspsychologie und den Erziehungswissenschaften die Erkenntnis durchgesetzt, dass Lernprozesse durch den Einsatz erzählerischer Methoden wirkungsvoll unterstützt werden können. Gerade im Zusammenhang mit den „großen gesellschaftlichen Herausforderungen“, in denen früher festgefügte Kontexte an Orientierungskraft verloren gehen und sich die Wahl- wie auch Zukunftsmöglichkeiten vervielfachen, werden narrative Kompetenzen zu einer zentralen Grundausstattung in der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Diese sind dann nötig, wenn man improvisieren muss und Entwicklung nicht mehr ‚vom Blatt gespielt‘ werden kann.

Welche Narrative wir haben

Seit über 20 Jahren steht „nachhaltige Entwicklung“ auf der Agenda. Doch handlungsorientierend und wirkmächtig ist sie in der gesellschaftlichen Alltagskultur nur begrenzt. Unser Verbrauch wächst und wächst – was am Overshootday abzulesen ist. Wenn über nachhaltige Entwicklung diskutiert wird, dann in Form nicht-nachhaltiger Erscheinungen oder normativer Leitplanken „was sein müsste“.
Diese sind in den Zirkeln schulischer und außerschulischer BNE und in relevanten Kreisen der Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft die gängigen „Subtexte“, also implizite Orientierungen sprich Narrative im Zusammenhang mit nachhaltigen Entwicklungsfragen (SDGs /Entwicklungsstrategie 2030). Sie reichen in die Gesellschaft hinein, wie die Umweltbewusstseinsstudien zeigen und spiegeln soziokulturelle, kollektive „Vereinbarungen“ dar. Sie entstehen durch das re-editieren dieser „Grundhaltungen“ und ihrer Wissens- und Wertebasis und können sich immer wieder verändern. Das Problem, dem diese Narrative ausgesetzt sind, ist nicht nur, dass sie in Konkurrenz zu einer Meta-Erzählung der „fossilen Moderne“ und deren Narrative stehen und damit in ihrer Verbreitung an kulturell-mentale Gegenbilder und Rituale stoßen. Die Nachhaltigkeits-Narrative sind vor allem deshalb noch zu wenig handlungs- und veränderungsauslösend und gesellschaftlich wirkmächtig, weil sie weder den Möglichkeitsraum der „großen Transformation“ lebensweltlich thematisieren noch das „Transformationsdesign“ für die nachhaltige Entwicklung liefern können.

Welche Narrationen wir brauchen

Es bedarf der erzählerischen Sinngebung von nachhaltigen Möglichkeitsräumen und ihrem „Design fiction“ und vor allem der „ganz-eigenen“ Handlungslogiken darin. Von nachhaltiger Entwicklung zu erzählen, heißt nachhaltige Entwicklung als eine spannende Reise in alltagskulturellen Zusammenhängen – aber in einem neuen Gesamtzusammenhang – zu erzählen. Doch die „große Erzählung“ lässt sich nicht verordnen. Sie muss ‚von unten‘ wachsen. Indem Protagonisten, Hauptfiguren oder Helden sie erzählen, indem andere die Erzählungen durch gegenseitiges Erzählen aufnehmen und tradieren. Dafür bedarf es neugieriger, verantwortungsbewusster Menschen, die an dem Entstehen dieser neuen Rahmenerzählung aktiv mitwirken, kollaborativ neue, weiterführende Narrative über gesellschaftliche Kommunikationen vereinbaren und konstituieren.

Die Potenziale von Erzählungen

Das ist für BNE bedeutsam und stellt die Frage, wie in und über BNE das Erzählen von nachhaltigen Zukünften und der Gestaltung der Wege dahin angestoßen und verbreitet werden kann. Das Potenzial von Erzählungen ist vielschichtig:

  • Konkrete Geschichten – zur Vermittlung von Lerninhalten – machen abstrakte Sachverhalte greifbar und erleichtern das Verständnis über systemische Wirkungszusammenhänge.
  • An und mit Geschichten zu arbeiten, eröffnet Fähigkeiten des Perspektivwechsels, fördert den Möglichkeitssinn und Kreativität, erweitert die Fähigkeit zu Empathie und unterstützt die Ausprägung einer Grundhaltung.
  • In besonderer Weise eignen sich szenische Zukunftsvisionen zum Erzählen. Sie geben dem heutigen Handeln einen Referenzrahmen und eine Richtung. Voraussetzung hierfür ist, dass sie auf Zuspruch, Anerkennung, Würdigung treffen. Das gemeinsame Erzählen über mögliche Zukünfte kann eine große transformative Kraft entfalten, Motivation zur Teilhabe stärken, weil in ihnen Selbstwirksamkeit (des Individuums, der Initiative, der Institution) erfahren wird.
  • Auf diese Weise können unterschiedliche Narrationen über die Zukunft gleichberechtigt gegenübergestellt und miteinander verglichen werden. Das Denken in Szenarien ist dem Denken und Lernen inhärent. Der Neurologe David Ingvar prägte hierfür den Begriff „memories of the future“, also Erinnerungen der Zukunft. Das weist daraufhin, dass unsere Entscheidungen und Handlungen eng mit den Narrationen verwoben sind, die wir uns von der Zukunft erzählen. Wenn wir das in Gemeinschaften als Gesellschaft tun, antizipieren wir mögliche alternative Zukünfte und bereiten uns darauf heute vor. Es geht darum, sich im Jetzt und in der Zukunft mit Integrität zu verorten.
  • Vor allem im Kontext des informellen Lernens spielen Erzählungen „interventionistischer“ Art deshalb eine besondere Rolle, weil ihre Protagonisten eine kulturelle Rolle ausfüllen; sie verkörpern Werte, Normen und Fähigkeiten, die gesellschaftlich akzeptiert und als nachahmenswert empfunden werden. In unserem Fall, der Erzählungen (die auch Fiktionen sein können) über nachhaltige Entwicklung und ihrer Transformation können sie und sollen sie bestimmte Werte, Normen und Rollen in Frage stellen und durch alternative Rollenbilder ersetzen. Das ist verbunden mit der Schaffung einer Ästhetik der Nachhaltigkeit und dem Design von Spielregeln, Objekten, Lebensmodellen etc. in der Transformation.

Die Potenziale im Zeitalter der Digitalisierung

Diese Potenziale im Kontext der Interaktion von Narrationen und Narrativen erhalten mit der Digitalisierung der Lebenswelt und Produktionsweise eine qualitativ neue Bedeutung. Das betrifft das Phänomen der Medialisierung des Lernens, was sich in Begriffen wie „Iconic Turn“, Simulationen und Modellierung, Darstellung und virtuelle Gestaltung komplexer dynamischer Prozesse (Big Data) sowie in Formaten kollaborativen Lernens und Generierens von neuem Wissen ausdrückt (Social Media, konstruktiver Journalismus) etc. Es deuten sich nicht nur neue Lernarrangements an, sondern es scheinen sich neue Lernkulturen auszuprägen.
In Anlehnung an den Ansatz der „transformativen Bildung“ (WBGU) zeigen sich Vernetzungen von transdisziplinärem Lernen mit transmedialem Peercoaching, welches möglicherweise über wissensbasierte Erzählungen verläuft. Mit der Digitalisierung von Kommunikation und Lernen werden „gestandene“ Vermittlungsformen nicht nur quantitativ, sondern vor allem qualitativ ergänzt durch einen sich ausdehnenden Möglichkeitsraum der Kommunikation, Information und Partizipation. Erzählungen werden über verschiedene Medien und Plattformen hinweg erzählt und kreieren auf diese Weise ein Geschichten-Universum. Film-, Computer-, Print- und andere Medien bis hin zu Aktionen kooperieren miteinander für diese Form des Erzählens. Rezipienten, die den verschiedenen Erzählsträngen folgen, mischen sich in das Erzählen ein, gestalten die Geschichten mit und erproben sie. Diese neue (serielle) Erzähl- und Lernkultur, die sich in unserer Alltagskultur auszuprägen beginnt und neue didaktische Herausforderungen produziert, ist für BNE erst noch zu erschließen – und zwar hinsichtlich der pädagogischen Vernetzung von formalen und informellen Lernarrangements, der Erschließung von Erweiterungspotenzial von Lernorten und -situationen sowie aktiver Mitgestaltung (Flipped Classroom/Umgedrehter Unterricht).

Zwei Ebenen

Aus der Perspektive der didaktischen Integration von Erzählungen und Narrative in gesellschaftliche Lernprozesse geht es um zwei Ebenen:

  1. Die wissensbasierte inhaltliche Tiefe der Erzählungen der Transformation, die das Verhältnis von Komplexität/Dynamik und Konkretisierung ausbalanciert und zudem glaubwürdig ist.
  2. Die wissensbasierte mediale Gestaltung der Erzählungen der Transformation, die Möglichkeiten aktiver Teilhabe und Andockstellen gesellschaftlicher Relevanz schafft, deren Praktizität und Konkretisierung an Zielgruppen ausgerichtet ist.

Für beide Ebenen gilt zudem, dass auf Verständlichkeit zu achten ist, was neue Sprach- und Symbolansätze aber nicht ausschließt.
Beide Ebenen – die inhaltliche und die mediale oder gestaltgebende – gelten sowohl in informellen Lernumgebungen, als auch in formalen Lernarrangements insbesondere des E-Learnings als pädagogische, technologiebasierte Innovation. Letztschließlich ist (informelles) Lernen die Kopplung von individuellem Handlungsraum und sozialem Kontext – von persönlichen/m Entscheidungen/Verhalten und sozial-produzierten Handlungen. (Informelles) Lernen ist somit kompetenzorientiert, d.h. ausgerichtet auf sinnvolle und sinnstiftende Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit von Zuständen nachhaltiger Entwicklung.
Joachim Borner

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